Viele Pferdemenschen, die erfolgreich Pferde ausbilden, wissen oft nicht genau, wie Pferde eigentlich lernen. Meistens sind es jedoch die Nicht-Profis, die sich diese Frage stellen.
Wenn wir das Thema "Lernen" einmal herunterbrechen, können wir zwei grundlegende Ziele unterscheiden: "Das soll mein Pferd tun" und "Das soll mein Pferd nicht tun." Es gibt also Verhaltensweisen, die wir häufiger sehen möchten (z.B. ruhiges Stehen am Anbinder, Angaloppieren auf Schenkeldruck), und solche, die wir vermeiden wollen (z.B. Scharren am Anbinder, Buckeln beim Angaloppieren).
Verhaltensweisen, die wir öfter sehen möchten, wollen wir verstärken. Dies kann auf zwei Arten geschehen:
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Positive Verstärkung: Wir geben dem Pferd etwas, das es möchte. Beispiel: Das Pferd steht ruhig am Anbinder und bekommt dafür einen Keks. Das nennt man positive Verstärkung, weil wir etwas hinzufügen (also "positiv"), das das Pferd gerne möchte.
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Negative Verstärkung: Wir nehmen etwas Unangenehmes weg. Beispiel: Wir geben die Schenkelhilfe zum Angaloppieren, das Pferd galoppiert an, und wir entspannen unseren Schenkel wieder. Das nennt man negative Verstärkung, weil wir etwas entfernen (also "negativ"), das das Pferd nicht mag.
Wenn wir ein unerwünschtes Verhalten reduzieren möchten, können wir mit Bestrafung arbeiten, die ebenfalls auf zwei Arten erfolgen kann:
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Positive Bestrafung: Wir fügen etwas Unangenehmes hinzu. Beispiel: Das Pferd scharrt am Anbinder, und es bekommt einen Klaps auf die Schulter. Das nennt man positive Bestrafung, weil etwas hinzugefügt wird.
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Negative Bestrafung: Wir nehmen etwas Angenehmes weg. Beispiel: Das Pferd frisst gerade aus einer Müslischüssel, und wir nehmen sie weg, wenn es anfängt zu scharren. Das nennt man negative Bestrafung, weil etwas Angenehmes entzogen wird.
Ein entscheidender Faktor bei der Anwendung all dieser Techniken ist das Timing. Unsere Reaktion (egal ob Verstärkung oder Bestrafung) muss unmittelbar erfolgen, am besten innerhalb von maximal zwei Sekunden. Nach dieser Zeit kann das Pferd keinen Zusammenhang mehr zwischen seiner Handlung und der Konsequenz herstellen.
Wenn das Pferd uns beispielsweise abwirft und wir es dann, nachdem wir aufgestanden sind, schlagen, bestrafen wir das Pferd nicht fürs Buckeln, sondern für das ruhige Stehen. Genauso verhält es sich mit Belohnungen: Wenn das Pferd ruhig am Anbinder steht und wir es mit einem Leckerli belohnen möchten, aber erst nach dem Keks in der Tasche kramen, kann es sein, dass das Pferd in der Zwischenzeit anfängt zu zappeln. Was wird dann belohnt? Das Zappeln, nicht das ruhige Stehen. So erreichen wir möglicherweise das Gegenteil von dem, was wir beabsichtigen, ohne es zu merken.
Es ist wichtig zu verstehen, dass nicht alles gut ist, nur weil "positiv" im Namen steckt, und nicht alles schlecht ist, nur weil "negativ" im Namen steht. Auch muss der Druck, den man bei der negativen Verstärkung ausübt, nicht schmerzhaft oder besonders unangenehm sein. Wenn wir im Büro oder in der Schule sitzen und unsere Chefin oder unser Lehrer uns ständig finster ansieht, ist das auch unangenehm, aber nicht schmerzhaft. Pferde sind sehr sensible und feinfühlige Lebewesen, die vieles als unangenehm empfinden können, ohne dass wir es überhaupt bemerken. Oft braucht es viel weniger Druck, als wir denken.
Quellen und zum Weiterlesen:
Gabor, Vivian. Mensch und Pferd auf Augenhöhe: pferdegerecht kommunizieren. Müller Rüschlikon, 2017.
McGreevy, Paul, et al. Equitation science. John Wiley & Sons, 2018.